– Gemeindenachrichten Oktober/November 2020 –
Ein Fest, ein Feiertag gar, auch wenn er in diesem Jahr auf einen Sonnabend fällt, kann gar nicht übersehen oder übergangen werden: der 3. Oktober 2020, das 30-jährige Jubiläum der Wiedervereinigung, der Tag der Deutschen Einheit.
Ein Tor wurde damals geöffnet, nachdem die Mauer längst gefallen war. Eintritt, Beitritt wurde gewährt, nachdem längst reger Verkehr in beiden Richtungen herrschte. Ein Staatsvertrag wurde besiegelt, nachdem längst etliche Tatsachen geschaffen waren – in Wirtschaft und Politik und in manchen Biografien. Durch dieses geöffnete Tor rückte die Kirche ganz neu ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Immerhin galt von nun an das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auch im Osten. Und das beginnt bekanntlich in der Präambel so: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“ „Gott“ – eine Vokabel, die in etlichen Ostohren wie aus einem Märchenbuch klang. Wer sonst, wenn nicht die Kirche, konnte und musste für Erklärungen sorgen. Kirche, nun „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, hatte sich auf Neues einzustellen. Die Herausforderung, den Leuten wieder Gott in Erinnerung zu ru- fen – diese universelle Autorität, vor der alle Menschen gleichwertig sind in ihren Chancen und Schicksalen; der über al- les Menschliche Erhabene, dem nichts Menschliche fremd ist; diesen HERRN, der niemanden bedrängt, sondern zu gewissenhaftem Umgang in Freiheit er- mutigt. Ein Gedankengut, das die Kirche in die Gespräche und Auseinandersetzungen auf allen Ebenen immer wieder einzubringen hat. Das Bekenntnis zu dem Gott, der sich in die Geschichte einmischt, zu übersetzen, ins öffentliche Bewusstsein zu bringen – in Kindergärten und Krankenhäusern, in Schulen und Ämtern, in Behörden und Betrieben, in Kasernen und Gefängnissen. Mit der so wiedererlangten Freiheit der Menschen konnte und musste auch der Glaube an Gott endlich befreit werden aus dem Nischendasein im einst verordneten Atheismus. Gott gehört nicht länger nur den Frommen, die ihm Ehrfurcht und Liebe entgegenbringen, sondern allen. Eigentlich war das schon immer so, aber man hatte diesen Gedanken hier und da ein wenig vernachlässigt oder verdrängt. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott“ bleiben wir aufmerksam gegenüber unseren Mitmenschen – jedweder Herkunft, Stellung und Einstellung. Damit öffnet sich gleichfalls ein Tor, das den Menschen Zugang und Ausweg bietet. Im Monatsspruch für diesen Oktober kommt der Prophet Jeremia zu Wort. Er spricht zu seinen Landsleuten, die sich als Gläubige in der multikulturellen Gesellschaft Babylons wie Fremdkörper vorkommen – oder manipuliert. Manchmal schauen sie ganz verzagt und eingeschüchtert der Zukunft entgegen und fühlen sich wie gelähmt. Jeremia erinnert sie an Gott. Dabei lenkt er ihren Blick nicht nur in den Himmel, sondern durch ein offenes Tor in die Stadt:
„Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie zum HERRN;
denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.“
(Jeremia 29,7)
Versöhnliche und zuversichtliche Gedanken wünsche ich ihnen in diesen Tagen.
Mit herzlichen Grüßen, Ihr Pfarrer Volkmar Freier