Liebe Gemeinde,
Ende Januar wurde die ForuM-Studie der Evangelischen Kirchen in Deutschland zum sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirchen seit 1945 veröffentlicht. In dieser Studie kommt auch unsere Gemeinde hier in Marienberg beziehungsweise ein Pfarrer, der in Zeit der DDR hier gewirkt hat, vor. Deshalb hat sich der Kirchenvorstand entschlossen am Aschermittwoch einen Bußgottesdienst zu feiern und in diesem die Schuld, die unsere Gemeinde betrifft vor Gott zu bringen.
Dieser Gottesdienst kann dabei nicht der Abschluss, sondern eine Ermöglichung der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, die auch Schuldgeschichte ist, sein. Da viele von Ihnen an diesem Tag nicht dabei sein konnten, veröffentlichen wir an dieser Stelle die Abkündigung die ich in diesem Gottesdienst verlesen habe:
Liebe Gemeinde,
in diesem Gottesdienst bringen wir die Schuld des sexuellen Missbrauchs, der in unserer Gemeinde in den Jahren 1975 bis 2001 geschehen ist, vor Gott.
Wir tun das, weil unter anderem durch die ForuM-Studie der EKD die Ereignisse der damaligen Zeit nun offen auf dem Tisch liegen. Dabei sind wir uns als Kirchenvorstand der Bedeutung und Tragweite durchaus bewusst. Die Geschehnisse der Vergangenheit, die nun durch die Studie zu Tage getreten sind, machen uns alle sehr betroffen und traurig.
Wir sind uns bewusst, dass wir Buße nicht aus einer Haltung des Hochmutes heraus tun können. Wir sind nicht besser als unsere Väter und Mütter, die unter dem Druck eines Unrechtsstaates versucht haben, Kirche hier vor Ort zu bauen und zu bewahren. Jedoch ist es wichtig und aus unserer Sicht auch notwendig, das Versagen vor Jesus zu bringen, die Schuld klar zu benennen und sie keinesfalls zu verharmlosen, noch zu verschweigen. Er allein kann mit der Sünde fertig werden. Deshalb werde ich nun über die Dinge, die im Raum stehen, berichten und versuchen, Ihnen eine grobe Zusammenfassung zu geben.
1975 wurde ein Pfarrer aufgrund eines Missbrauchsfalls in seiner ursprünglichen Gemeinde nach Marienberg versetzt. Unserer Gemeinde wurden die Hintergründe der Versetzung nicht mitgeteilt. Auch die Tatsache, dass der Pfarrer aufgrund seiner sexuellen Präferenz und mehreren Anzeigen wegen Missbrauchs Jugendlicher bereits von der Staatssicherheit unter Erpressung als IM angeworben wurde, blieb nach heutigem Kenntnisstand verborgen. Bereits in den ersten Jahren seines Dienstes in Marienberg gab es mehrere Meldungen von Verfehlungen an den Superintendenten und das Landeskirchenamt. Jedoch wurde auf diese Beschwerden nicht oder nur unzureichend reagiert. Erst 1986 wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen auch der Kirchenvorstand ein Votum zum Verbleib des Pfarrers abgab. Das Ergebnis des Verfahrens war, dass der Pfarrer sich in psychologische Behandlung begeben musste und ihm das Zusammensein mit Jugendlichen in seiner Wohnung, sowie die Weitergabe von Alkohol an Jugendliche verboten wurde. Der Pfarrer wurde aber seines Amtes in Marienberg nicht enthoben, so dass er bis zu seinem Tod 1991 hier verblieb.
Ein weiterer Vorfall ereignete sich nur ein paar Jahre später. 2001 wurde der damalige Kantor unserer Kirchgemeinde aufgrund des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener verurteilt und aus dem Dienst entlassen. Auch dieser Fall wird vom Landeskirchenamt mit der Bitte, dass sich Betroffene melden können, erwähnt. Wir wollen auch diese Geschehnisse heute vor Gott bringen.
Diese Schuld des Missbrauchs, des Versagens von Leitungsstrukturen und -hierarchien, das enttäuschte Vertrauen sowie alle Verletzungen und Wunden, insbesondere der Betroffen und ihrer Familien, die in den zurückliegenden Jahren entstanden sind, bringen wir aufrichtig und demütig zum Kreuz Jesu.
Zwischen den einzelnen Teilen des Gebetes werden wir Stille halten, in der jeder für sich selbst die Vergangenheit vor Jesus ablegen kann. Am Ende dieses Bußgebetes wird es heute keine Absolution geben, da wir an diesem Punkt uns die Vergebung nicht selber zusprechen können. Wir vertrauen aber darauf, dass Christus größer ist als alle unsere Sünde und alle Verletzung, die wir einander angetan haben. Er möge den Betroffenen Heilung, Kraft und Frieden schenken und uns sowie seiner Gemeinde hier in Marienberg die Erneuerung durch seinen Geist.
Amen.
Für Rückfragen, Gespräch und Seelsorge stehen für sie selbstverständlich Pfr. Freier und ich bereit.
Es grüßt Sie Pfr. Friedemann Liebscher